Als wir anfingen, "nathanæl"
zu schreiben, hieß es noch "Nosferatu", hatte einen anderen
Text und klang eher nach einer mäßig verzerrten PopRock-Nummer
mit üblichem Schema. Aufgebaut auf einem Riff aus vier Einzeltönen,
das schnell aus dem Lied verschwunden ist, hielt sich nur ein Part bis heute:
das Intro.
2000 spielten wir es zu dritt im Proberaum des Jugendzentrums in SVD, Niels
den Basspart auf seiner Gitarre, damals mit Anna am Schlagzeug, und ich das
Gitarrenintro, das wir teilweise ewig in die Länge zogen. Ich kann mich
an einen Abend erinnern, als es nach einem schwül-heißen Tag anfing
zu Gewittern. Der Proberaum verdunkelte sich während wir spielten, die
ersten Blitze zuckten, als ich in den gezupften Part überging, der Donner
folgte mit dem Bass... Vielleicht war es dieser Moment, der mir das Lied so
sehr in mein Herz eingebrannt hat... auch wenn es sich seitdem stark verändert
hat, es ist noch immer die Seele unserer Musik. Zumindest in meinen Augen.
Der Text kam erst sehr viel später und auch nur stückweise. Mir
liegt sehr viel an dem Text, da der von "Der Sandmann" von E.T.A.
Hoffmann inspiriert ist, und ich diese Erzählung sehr mag. Dabei fällt
mir ein, dass ich immer nochmal etwas schreiben will, was an Dürrenmatts
"Die Physiker" angelehnt ist.
Ich gehöre zu den Menschen, die Dinge ohne zeitliche Begrenzung sofort,
und Aufgaben mit gegebener Deadline erst kurz vor Schluss machen. Und wenn
man dann den ganzen Kram hinter sich gebracht hat, und das Wochenende kommt,
ist Zeit für eine Mütze Leichtigkeit und einen Video-Abend. Der
Montag Morgen nach diesem Abend wiederum ist irgendwie... schläfrig und
nüchtern. Es gibt soviele Dinge zu tun, aber da man plötzlich wieder
Zeit hat, macht man Dinge, die man eigentlich gar nicht machen will. Zum Beispiel
ein Lied schreiben.
So entstand auch "care + careen"
im Frühsommer 2007, und da ich es gerade geschrieben hatte und nicht
weiter aufwendig instrumentieren wollte, habe ich es direkt aufgenommen. Die
Tatsache, dass ich nichtmal Bock dazu hatte, die Gitarre zu stimmen, noch
irgendwelche technischen Maßnahmen außer eines leichten EQs auf
der Stimme zu ergreifen, macht das Klangerlebnis etwas rau, aber... es kommt
von Herzen. Zumindest soweit es die Lustlosigkeit eines Montag Morgens zulässt...
Nach dem Abschluss meines Audio Engineer Diploms fuhr ich Ende November 2006
zu meinen Eltern. Marius war aus Berlin gekommen und wir standen vor einer
der größten Entrümpelungsaktionen, die der Keller meiner Eltern
je gesehen hat (was für ein Superlativ...). Dabei tauchte auch das alte
graue Bontempi-Keyboard auf, das meine Mutter mal von einer Arbeitskollegin
mitgebracht hatte, und das durch massives Auslaufen der Batterien Jahre zuvor
den Teppich in Marius Zimmer nachhaltig beschädigt hatte. Mit Flecken
von Batteriesäure, die sich in das Plastik gebrannt hatten, erinnerte
es mich irgendwie an das Grundthema unseres "Aerosol"-Konzepts.
Ich schaltete es ein und spielte etwas. Der Klang, den Niels mal als "Steckdose"
bezeichnet hat, war grauenhaft. Also setzte ich mein Effektgerät dazwischen
und verfremdete den Klang so, dass es schließlich nach billiger Vintage-E-Orgel
klang. Das war ganz akzeptabel. Damit spielte ich zum ersten Mal die Grundpassage
von "The Kremlin King".
Den Text hatte ich schnell zusammen. Zu der Zeit geisterte der Polonium-Anschlag
auf Alexander Litwinenko durch alle Medien, und als ich den Text zu "The
Kremlin King" schrieb, war die Berichterstattung schon soweit pervertiert,
dass es kaum noch lohnte, über die wahren Hintergründe nachzudenken.
Der Text richtet sich somit auch nur bedingt an den Anschlag sondern vielmehr
an die Berichterstattung. Der Titel ist dabei aus dem Text zu "The End
is the Beginning is the End" von den Smashing Pumpkins geklaut.
Eines der ältesten Lieder ist "stormur
minn", das aber anfangs noch "The Ice-Storm" hieß,
in Anlehnung an den gleichnamigen Film von Ang Lee. 2000 geschrieben, in einer
Zeit, als ich vermutlich der größte Christina Ricci-Fan war, der
auf Erden wandelte (zumindest half es mir damals, selbst daran zu glauben),
sind die meisten Parts tatsächlich bis heute so geblieben. Andererseits
ist das Lied das perfekte Beispiel dafür, dass auch eine Änderung
des Klangbilds ein Lied extrem beeinflussen kann.
Der [SPHERE]-Part "telescope eyes" war ursprünglich unter dem
Titel "The Hill" der musikalische Aufmacher zu einem Hörbuch,
das ich selbst schreiben und aufnehmen wollte. Ich habe aber weder das Buch
fertiggeschrieben noch eine Stimme, die sich für ein Hörbuch eignete,
also blieb ich bei dem, was ich sowieso schon gemacht habe, und gliederte
es in "Anamnesia" ein.
Jeder Mensch braucht einen Rückzugsort. Ich brauchte den als Kind besonders.
Ich war nicht gerade derjenige, der jedem zeigt, wie es ihm geht, und so brauchte
ich immer wieder die Flucht nach draußen. Und auch wenn es mir fast
egal war, an welchem Ort wir wohnten, es gibt diesen einen Ort, an dem ich
so etwas wie meine innere Ruhe fand. Meistens nahm ich unseren Hund und ging
raus über die Felder. Etwa am Wendepunkt des Weges, den ich mit unserem
Hund zurücklegte, steht ein einzelner, großer Baum auf einem leichten
Hügel zwischen zwei Feldern. Ich saß oft dort auf dem Stein unter
dem Baum und habe einfach über alles und nichts nachgedacht.
Ich habe mir zudem immer fest vorgenommen, diesen Ort fest in allem zu verankern,
was ich um mich herum schaffe. Optisch trifft man den öfter an, zum Beispiel
in der Titelgrafik auf der .kinetic...-Seite, auf dem Wallpaper zu "stormur
minn" und auf einigen älteren Bandfotos. Aber ich wollte immer ein
Lied schreiben, in dem ich mich immer dort befinde. Zu diesem Lied ist mit
der Zeit "snow" geworden, das ich
im Spätherbst 2005 geschrieben habe, zu einer Zeit als ich schon über
drei Jahre nicht mehr in der Nähe des Baums wohnte. Der Text erzählt
offensichtlich von einem Kind, das sich in verschneiten Wäldern verliert,
bis es zum Abendessen hereingerufen wird, doch eigentlich beschreibt er nur,
wie ich an vielen Wintertagen den Weg hinaus zum Baum gezogen bin, die schneebedeckten
Fichtenzweige tief über den Pfad gebeugt, wie ein Tor in meine eigene
Welt, und mit leichtem Herzen und der Gewissheit nach Hause zu kommen wieder
zurück gegangen bin.
Manchmal dauert es, bis man den Ort findet, an dem man wirklich zuhause ist.
Oft liegt dieser Ort tief in einem selbst und wartet nur darauf, dass er in
die Freiheit entlassen wird.
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